Zentrales Thema im politischen Berlin war diese Woche die Sondersitzung des Deutschen Bundestages mit der Frage ob über ein drittes Hilfspaket für Griechenland verhandelt werden soll. Es wurde ausdrücklich nicht darüber entschieden, ob Griechenland neues Geld aus dem „Euro-Stabilisierungsfonds“ (ESM) bekommt, sondern über die Frage, ob die Bundesregierung das Mandat bekommt, über Hilfen aus dem ESM verbindlich zu verhandeln. Sollte es zu einem Verhandlungsmandat kommen, so muss das dann verhandelte Ergebnis dem Bundestag erneut zur Abstimmung vorgelegt werden, bevor es zu einer Auszahlung kommen kann.
Niemand hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Für mich ist eine Zustimmung zu der Aufnahme von Verhandlungen über Hilfen aus dem Euro-Stabilisierungsfonds derzeit nicht möglich, weil bereits die formalen Voraussetzungen fehlen.
Zentrale Voraussetzung für die Gewährung von Hilfen ist nach dem ESM-Vertrag ausdrücklich und unabdingbar die Stabilität des gesamten Euro-Währungsraums. Die Griechische Wirtschaftsleistung beträgt 1,77 % der gesamten Wirtschaftsleistung der Eurozone. Griechenland hat zudem wenige außenwirtschaftliche Verflechtungen. Die minimale und gelassene Reaktion der Märkte nach dem Ausstieg der griechischen Regierung aus den Verhandlungen zum zweiten Rettungspaket und der Veröffentlichung von Vorschlägen zum Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone hat gezeigt, dass unabsehbare Turbulenzen an den Börsen, die zur Instabilität der Euro-Zone führen würden, ausgeschlossen werden können.
Eine Ansteckungsgefahr für andere stark verschuldete EU-Länder, die derzeit oder in der Vergangenheit zum Teil auch auf Kredite angewiesen sind oder waren und damit eine indirekte oder perspektivische Gefährdung des Euro, sehe ich ebenfalls nicht. Überall außerhalb Griechenlands wurden mit großer Entschlossenheit notwendige Strukturreformen umgesetzt und schmerzhafte Sparentscheidungen umgesetzt. Keines der anderen betroffenen Länder hat vergleichbare Probleme in den Bereichen Staatlichkeit und Steuererhebung sowie bei den fehlenden zentralen Strukturreformen wie Griechenland.
Auch die Voraussetzungen der Schuldentragfähigkeit sowie die Ermittlung des Finanzierungsbedarfs sind meinem Ermessen nach nicht ausreichend erfüllt. Eine demokratische Europäsche Union kann nur dann funktionieren und wird nur dann von den Bürgerinnen und Bürgern getragen und akzeptiert, wenn sich politisches Handeln an Regeln und Verträge hält. Die Solidarität mit dem griechischen Volk seitens der Europäischen Union wird fortbestehen. Maßnahmen, wie die wirtschaftliche Förderung Griechenlands durch Hilfen aus dem Strukturfonds des EU-Haushaltes oder humanitäre Hilfeleistungen wurden und werden weiterhin gewährt.
Ich habe größten Respekt vor der Verhandlungsleistung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Sinne gesamteuropäischer und deutscher Interessen. Der vorgeschlagene freiwillige vorübergehende Austritt Griechenlands aus dem Euro muss auch weiterhin eine Option bleiben. Neben den Zweifeln an der formalen Zulässigkeit von ESM-Hilfen fehlt mir persönlich aber das Vertrauen in die Umsetzungsbereitschaft von Reformen der griechischen Regierung. Als überzeugte Europäerin glaube ich auch, dass Hilfen aus dem ESM derzeit falsche Anreize setzen, weil sie indirekt von der Währungs- in eine Haftungs- und schließlich in eine Transferunion führen und dass dadurch extreme Linke und extreme Rechte in allen europäischen Ländern massiven Zulauf erhalten könnten.